Die Stadt Wien hat sich große Ziele gesetzt. Mit den bisherigen Scheinmaßnahmen wird sie diese nicht erreichen. Das Gelingen der Verkehrswende ist von einem praxistauglichen dichten und durchgängigen Radwegenetz abhängig.
Der Gürtel ist eine der wichtigsten Verkehrsadern Wiens. Die Wiener Stadtregierung hat sich das Ziel gesetzt, den Autoverkehr drastisch zu reduzieren. Trotzdem gibt es am Gürtel teils 8 Fahrspuren für den Kfz-Verkehr, während sich Zufußgehende und Radfahrende meist auf gemeinsam genutzten Flächen drängen müssen.
Dabei beginnt eine Fahrt über den Gürtelradweg vielversprechend – zumindest von St. Marx kommend. Am Landstraßer Gürtel, direkt neben dem Stadtentwicklungsgebiet Aspanggründe, sind Geh- und Radweg sanft aber klar getrennt und für den aktuellen Bedarf ausreichend breit.
Der erfreuliche Beginn führt aber schon nach nur 500 Metern in eine Nebenfahrbahn und mündet knapp zwei Häuserblocks weiter in die Hauptfahrbahn des Landstraßer Gürtels. Nach 500 Metern im Mischverkehr können Radfahrende mit der Fortsetzung des Radwegs wieder Hoffnung schöpfen – allerdings nur kurz, denn nach zwei Häuserblocks endet der Gürtelradweg abermals in der Hauptfahrbahn.
Nur jene, die in die Argentinierstraße oder zum Hauptbahnhof müssen, dürfen ihre Fahrt auf Radwegen fortsetzen. Für alle anderen folgt eine rund 2 Kilometer lange Durststrecke auf der Hauptfahrbahn des Gürtels, bis beim Herweghpark der durchgängige Abschnitt des Gürtelradwegs beginnt. Weniger Mutige müssen die Lücke bis zum Beginn der von den Fahrbahnen baulich getrennten Infrastruktur mit der Ausweichroute durch Neben- und Parallelgassen mit weniger Kfz-Verkehr überbrücken. Bei dieser alternativen Radroute, die zum größten Teil aus für den Radverkehr geöffneten Einbahnen besteht, ist Ortskenntnis von Vorteil.
Sobald der Herweghpark erreicht ist, kommen Radfahrende knapp 7 Kilometer weit einigermaßen sicher bis zur Nußdorfer Straße. Abschnittsweise gleicht die Strecke aber einem Hindernisparcour und ist großteils nur als gemeinsam zu nutzender Geh- und Radweg ausgeführt. Schon der Beginn in Margareten zeigt sich eher schmal bemessen und bereits nach 170 Metern kommt die erste Schikane. Anstatt einer direkten Führung des Radweges wird er in U-Form und über eine Verkehrsinsel geführt. Statt einer Ampel sind zwei zu passieren.
Mehr Platz für ein faires Miteinander
Hanna Schwarz von „Geht.Doch Wien“ sagt über den Gürtel: „Die Situation für aktive Mobilität ist beengt. Viele Radfahrende, viele Fußgängerinnen. Auf einem gemeinsam geführten Mehrzweckstreifen. Das führt zu vorprogrammierten Konflikten und ist nicht ideal. Will man aktive Mobilität fördern, braucht es mehr Platz für getrennte Radwege und Fußwege.“
Ein Blick auf den Gaudenzdorfer und Gumpendorfer Gürtel bestätigt das. Die Ausführung als gemeinsamer Geh- und Radweg ist besonders in den Kreuzungsbereichen Ursache für Konfliktsituationen. Am Knotenpunkt zwischen Gürtel und Wienzeile wird der Autoverkehr zuungunsten des Fuß- und Radverkehrs bevorzugt. Während Autofahrende die Stelle rasch passieren können, werden Zufußgehende und Radfahrende über Verkehrsinseln und sich kreuzende Wege geleitet. Statt die Linke Wienzeile in einem Zug überqueren zu können, müssen mehrere Ampelphasen abgewartet werden.
Geduldsprobe am Europaplatz
Das nächste Teilstück bis zum Westbahnhof besteht am Gumpendorfer Gürtel aus einem schmalen Geh- und Radweg, am Mariahilfer Gürtel aus einem schmalen Radweg. Der Westbahnhof ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt. Fuß- und Radverkehr werden hier jedoch besonders benachteiligt behandelt.
Ein Video des Alltagsradlers und Filmemachers Daniel Bleninger demonstriert das eindrucksvoll. Seitens der Mobilitätsagentur Wien wurde von Martin Blum bereits 2014 eine Verbesserung der Situation am Westbahnhof angekündigt. Geschehen ist bisher allerdings nichts.
Über den Urban-Loritz-Platz scheint ein schmaler Einrichtungsradweg zu führen. Der Eindruck täuscht aber, denn es handelt sich dabei um einen Zweirichtungsradweg. Als ob das bei Gegenverkehr nicht herausfordernd genug wäre, hat die Stadt als Schikane einen Baum gepflanzt, um dessen Baumscheibe sich der Radweg für einige Meter teilt.
Zwischen der Hauptbibliothek und der Volksoper sorgen Seitenwechsel dafür, dass keine Langeweile aufkommt, und rote Wellen geben ausreichend Gelegenheit, um im Kopf die Einkaufsliste durchzugehen.
Gegen Ende der Tour über den Gürtelradweg kommen zwei Stellen, an denen 2022 Verbesserungen umgesetzt wurden. Knapp nach der Volksoper wurde die beengte Situation am Währinger Gürtel durch einen Bypass von etwa 300 Metern Länge entschärft. In Döbling führt der Gürtelradweg nun zuerst durch eine Fahrradstraße und dann über einen Geh- und Radweg, bevor er im Mischverkehr endet. Wie in Margareten fehlt auch in Döbling die anschließende Radinfrastruktur.
Am Gürtel ist genug Platz, man muss ihn nur anders verteilen
Die Anzahl radelnder Kinder und Familien ist ein guter Indikator für die Qualität von Radinfrastruktur. Obwohl der Gürtelradweg eine wichtige Alltagsverbindung darstellt, wird er nur von wenigen Kindern benützt. Das Radfahren am Gürtel ist schon für Erwachsene eine mühsame Angelegenheit. Ungleich schwieriger gestaltet es sich für Kinder und Familien.
Florian Klein, Organisator der „Kidical Mass“: „Der Gürtelradweg ist alles andere als kinderfreundlich. Besonders die Kreuzungssituationen sind für Kinder (und Erwachsene) sehr gefährlich. Hinzu kommt die schlangenlinienförmige Routenführung, die es Kindern nicht leichter macht, sich am Radweg sicher zu bewegen. Auch die fehlende Mittelmarkierung und der Fußverkehr erschweren Kindern die sichere Fahrt.“
Sein Fazit zur Situation am Gürtel: „Am Gürtel ist genug Platz für eine gute, (kinder-)sichere Radinfrastruktur, man muss ihn nur anders verteilen.“ Ergänzend sagt Klein: „Der Gürtel ist natürlich nicht das einzige ‚Sorgenkind‘ im Wiener Radverkehr. Das fehlende Netz an Radwegen macht es Familien kaum möglich, ihre Ziele in Wien sicher mit dem Rad zu erreichen.“
Damit sich das ändert, organisiert Klein seit 2018 Fahrraddemonstrationen namens „Kidical Mass“. Diese familientaugliche Version der „Critical Mass“ findet österreichweit in einigen Städten statt. Die nächsten Termine in Wien sind am 6.5. und 3.6.2023 – demonstriert wird u. a. für kindgerechte sichere Radinfrastruktur. Davon profitieren auch Erwachsene, die Alltagswege derzeit nicht radelnd zurücklegen, weil ihnen das Radfahren im Mischverkehr zu gefährlich ist.
Wer autofreie Stadtteile will, muss Radwege bauen
Zurück zum Stadtenwicklungsgebiet Aspanggründe. Bis zum Jahr 2026 sollen dort 3.100 geplanten Wohnungen fertiggestellt werden. Der neue Stadtteil wurde als weitgehend autofrei geplant. Nimmt die Stadt ihre Klimaziele ernst, würde das bedeuteten, dass nicht nur das Wohngebiet frei von Autoverkehr ist, sondern auch die An- und Abreise autofrei erfolgt. Das ist derzeit allerdings gar nicht so leicht möglich. In angenehmer Fußgehreichweite sind die Aspanggründe derzeit nur durch die S-Bahn-Station „St. Marx“ ans hochrangige öffentliche Verkehrsnetz angeschlossen. Aufgrund der Nähe zum Stadtzentrum und dem Hauptbahnhof kann dem Fahrrad eine große Rolle als Alltagsverkehrsmittel zukommen, auch wenn es nur der Überbrückung der „letzten Meile“ dienen mag. Die Stationen „Hauptbahnhof“, „Schlachthausgasse“ und „Stadtpark“ der U-Bahn-Linien U1, U3 und U4 liegen 1-2 Kilometer von den Aspanggründen entfernt und wären somit gut für die klimafreundliche Kombination „Fahrrad & Öffis“ geeignet. Wären. Denn aktuell ist nur der Hauptbahnhof über einen sicheren Radweg erreichbar. Weder die Schlachthausgasse noch der Rennweg verfügen über Radinfrastruktur. Ein Radweg in der Schlachthausgasse wäre nicht nur eine Verbindung zur U3, sondern auch mit der sicheren Radroute am Donaukanal, im Prater und weiter bis zur Donauinsel und in die Donaustadt. Ein Lückenschluss von rund 1,3 Kilometer Länge, der einen großen Unterschied macht.
Schöne Worte sind nicht genug
Die Wiener Stadtregierung hat sich das Ziel gesetzt, den Autoverkehr in den nächsten Jahren drastisch zu reduzieren. 2022 wurden 26 Prozent aller Wege mit dem Auto zurückgelegt. Bis 2025 soll dieser Anteil auf 20 Prozent sinken. Das wird nur gelingen, wenn rasch attraktive Alternativen zum Autofahren geschaffen werden. Da der öffentliche Verkehr innerhalb des Gürtels bereits recht gut ausgebaut ist, bleibt der Radverkehr der größte Hebel, dieses Ziel zu erreichen. Abgesehen vom Gürtel braucht es selbstverständlich auch auf allen daran anschließenden Hauptstraßen Radwege. Die fehlen derzeit nämlich großteils. Das ist aber eine andere Geschichte.
Der Gürtelradweg als Aneinanderreihung verschiedenster Problemstellen ist alles andere als attraktiv. Er wird benutzt, weil die Alternative noch abschreckender sind: Das Radfahren im Mischverkehr mit Kfz. Das Potenzial des Gürtels für den Radverkehr wird bei Weitem nicht voll ausgeschöpft. Der Gürtelradweg muss daher zum Gürtel-Radschnellweg werden: Breit, durchgängig, direkt und mit einer Minimierung der Konfliktstellen mit dem Fußverkehr. Am Hernalser Gürtel befindet sich ein vorbildlicher Abschnitt. Auf einer Länge von 500 Metern ist der Gürtelradweg dort als großzügig breiter Radweg ausgeführt. Diese Qualität ist auf den vollen 11 Kilometern des Gürtels wünschenswert.
Radschnellweg ist zugleich Blaulichtspur
Die einfachste und am schnellsten realisierbare Möglichkeit, dies zu erreichen, stellt das Abtrennen der jeweils inneren Kfz-Fahrspur dar. Diese Variante erleichtert nicht nur Radfahrenden und Zufußgehenden den Alltag, sondern auch Blaulichtorganisationen. Denn gut ausgebaute Radwege können auch von Einsatzfahrzeugen befahren werden, um schnell am für den Gürtel typischen Stau vorbeizukommen. Im Gegensatz zu Autofahrenden können Radfahrende nämlich schnell Platz machen. Gut ausgeführte Radwege retten somit nicht nur Leben Radfahrender.
Radschnellweg statt Scheinmaßnahmen
Ein Radschnellweg am Gürtel löst als Einzelmaßnahme nicht alle Probleme und wird Wien nicht zur Klimamusterstadt machen. Er wäre aber ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung und würde zeigen, dass die selbsternannte „Fortschrittskoalition“ ihre eigenen Ziele ernst nimmt.
Bisher glänzt die Stadtregierung aber vor allem durch Mini-Maßnahmen und Scheinklimaschutz. Einen Radschnellweg am Gürtel lehnen die Verantwortlichen ab: „Stadt Wien findet Gürtelradweg okay“.
Deshalb veranstalten „Radeln For Future“ und „Parents For Future“ am 5.5.2023 den von der Polizei begleiteten und abgesicherten „Gürtel Bike Ride“. Die Teilnehmenden radeln dabei auf allen Fahrbahnen von der Spittelau bis nach St. Marx und wieder retour und fordern: Radschnellweg jetzt!
Gürtel Bike Ride
Treffpunkt: Freitag, 5.5.2023, 17:00, beim Votivpark
Weiterführende Informationen:
Gürtel Bike Ride
Kidical Mass
Critical Mass
Parents For Future
Wiener Klimafahrplan bis 2040
Fachkonzept Mobilität
Koalitionsprogramm „Fortschrittskoalition“
Modal Split 2022 und 2021
Stadtentwicklungsgebiet Aspanggründe
Aktivisten demonstrieren: Wie sicher ist das Radeln am Gürtel im 9. Bezirk?
Tag schön,
Blum ist doch einer der grössten W…. , kein Wunder, ist doch von der Gemeinde = Wr. Stadtregierung angestellt und das Sprachrohr der lustigen Uli Sima…. und was die sagen, wird einfach nachgeplappert. Aber immer schön für ein Gruppenfoto medienwirksam ein paar Meter Radweg oder Radweganmalung posieren.